Prüft alles und behaltet das Gute Gedanken zur Jahreslosung

Ein Satz, der klar und direkt klingt. Aber er fordert mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Er fordert, hinzusehen. Nicht wegzusehen. Er fordert Ehrlichkeit – mit anderen und mit uns selbst.

In der Stadt sitzen Menschen in Hauseingängen. Eine Decke, ein Pappbecher. Viele laufen vorbei. Sie schauen nicht hin. Vielleicht wollen sie nicht. Vielleicht können sie nicht. Manchmal ist es leichter, wegzusehen. Die Losung sagt: Prüf es. Schau genau hin. Nicht, um zu urteilen. Nicht, um alles zu verstehen. Einfach, um wahrzunehmen, was da ist, auch wenn es unbequem ist. Aber die Losung endet nicht bei den anderen. Sie betrifft auch uns selbst. Wir alle tragen Dinge mit uns herum. Fehler, die wir nicht loslassen können. Erwartungen, die zu groß sind. Momente, in denen wir meinen, nicht genug zu sein. Auch hier heißt es: „Prüft alles.“ Was davon ist wirklich wichtig? Was darf gehen? Was bleibt?

Ich glaube, das Gute, das wir behalten sollen, ist oft näher, als wir denken. Es ist der Moment, in dem wir einem Menschen wirklich zuhören. Es ist ein Blick, der sagt: Ich sehe dich. Ein Lächeln, das niemand erwartet hat. Diese Dinge erscheinen unbedeutend, aber sie sind es nicht. Sie können viel verändern. Manchmal reichen sie aus. Denn das Leben ist selten einfach. Es gibt Freude und Schmerz, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Hoffnung und Zweifel – oft alles gleichzeitig. Wir können nicht alles lösen. Wir müssen es auch nicht. Aber wir können hinsehen. Wir können entscheiden, was trägt. Und was nicht. „Prüft alles und behaltet das Gute“ – das ist keine Moral. Es ist ein Angebot. Hinsehen. Zuhören. Erkennen. Und das Gute, das wir dabei finden, bewahren.

Rebecca Assif